Sind wir katholisch und orthodox?

■ Die älteste Bezeichnung, die die Jünger Jesu Christi als solche identifiziert bzw. als eine spezifische Gruppe bezeichnet, ist der Begriff „Christen“. Er stammt vom altgriechischen „Χριστιανός, Christianós - der Christliche“ und wurde das erste Mal in der Apostelgeschichte Apg 11,25f. benutzt – um das Jahr 40 n. Chr. in Antiochien in Syrien. Später wurde er als Selbstbenennung der betreffenden Personengruppe übernommen. Im Neuen Testament selbst kommt diese Bezeichnung „Christen“ zwar nur selten vor – neben der genannten Stelle noch in Apg 26,28 und 1 Petr 4,16 –, wurde aber in der Kirchengeschichte danach zum eigentlich Identitätsbegriff der Menschen, die an Jesus Christus als den Göttlichen Erlöser glauben.
Des Weiteren taucht zu Beginn des zweiten christlichen Jahrhunderts die Bezeichnung „katholisch“ als ein eindeutiges Identitätsmerkmal der von Jesus Christus gestifteten Kirche auf. So liest man beim hl. Ignatius von Antiochien, der wohl ein Jünger des hl. Apostels Petrus war, in seinem Brief an die Smyrnäer 8,2: „Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die katholische Kirche ist“.
„Katholisch“ ist das Adjektiv vom griechischen „καθολικός, katholikos - Ganzheit, allgemein, universal“. „Katholizität der Kirche (eine Wesenseigenschaft und ein Kennzeichen der einen wahren Kirche Christi) besagt als innere Katholizität den ganzen Besitz an Wahrheit und Heilsgütern, die Christus seiner Kirche zugedacht hat, und als äußere Katholizität die räumliche und zeitliche Unbegrenztheit ihrer Sendung und deren Verwirklichung“ (Lexikon für Theologie und Kirche, Verlag Herder Freiburg 1961, 6. Band, Spalte 90). Somit verstand man unter diesem Begriff „vor Mitte des 3. Jahrhunderts eher die Fülle, Unversehrtheit und Vollkommenheit der Kirche in der Einheit mit Christus“ (ebd., Sp. 92). Darunter mitverstanden sein wird bei manchen der kirchlichen Autoren jener Zeit auch ihre Universalität, die ja in Entsprechung zum Missionsauftrag Jesu (Mt 28,19f.) gerade die missionarische Eigenschaft des Lehre Christi und der Kirche miteinschließt, überall gelten zu sollen!
Da aber im Lauf der Zeit immer wieder neue Gruppen entstanden, die sich meistens wegen mancher abweichender Glaubensinhalte von der Kirche trennten, bezeichnete „katholisch“ danach immer mehr vor allem die wahre Kirche im Unterschied zu häretischen und schismatischen Sekten, weil sie ja tatsächlich jenen „ganzen Besitz an Wahrheit und Heilsgütern, die Christus seiner Kirche zugedacht hat“, erhalten hatte! In diesem Sinn verstehen auch wir heute in der Regel den Begriff „katholisch“ – sowohl als charakteristische Selbstbezeichnung der eigenen kirchlichen Identität („katholische Kirche“) als auch, um zugleich den Unterschied zu den Gemeinschaften anzuzeigen, die eben nicht in Einheit mit dieser Kirche stehen und sich eben wegen Häresie oder Schisma von ihr wie auch immer getrennt haben.
Bezeichnen wir diese zweite Bedeutung in diesem Artikel – auch im Hinblick auf folgende Ausführungen – mal als die sog. abgrenzende Bedeutung des Begriffs „katholisch“! In diesem Sinn sind wir ja „katholisch“ und eben weder „orthodox“ noch „lutherisch“ noch „evangelisch“ noch „baptistisch“ noch „anglikanisch“ noch sonst irgendwie!
So hat es sich heute praktisch allgemein eingebürgert, dass auch in Hinsicht auf jene ostkirchlichen Gemeinschaften der Begriff „katholisch“ als ein eindeutiges und entscheidendes Identitätsmerkmal verwendet wird, die an sich zwar dieselben liturgischen Riten verwenden wie die sog. Orthodoxen, aber dann im Lauf der Kirchengeschichte doch wieder zurückgekehrt sind zur wahren katholischen Kirche und somit für den eigenen Bereich das große Schisma überwunden haben. So werden die ostkirchlichen Gemeinschaften, die mit Rom die kirchliche Union geschlossen haben, bezeichnenderweise „Ukrainisch-Katholisch“, „Armenisch-Katholisch“, „Koptisch-Katholisch“, „Assyrisch-Katholisch“, „Maronitisch-Katholisch“ usw. genannt. Als Sammelbegriff werden die verschiedenen unierten Gemeinschaften des Byzantinischen Ritus auch „Griechisch-Katholisch“ bezeichnet. Die Gemeinschaften aber, die im Schisma (und teilweise auch in Häresie) verbleiben, heißen „ukrainisch-orthodox“, „russisch-orthodox“, „griechisch-orthodox“, „serbisch-orthodox“, „koptisch-orthodox“ usw.
■ Nun ist es aber höchst interessant, dass sich im Römischen Messritus an einer Stelle auch die Bezeichnung „orthodox“ im Hinblick auf sich selbst, die katholische Kirche, finden lässt. So wird im ersten Gebet des Kanons das heilige Opfer an sich ja bekanntlich „in Gemeinschaft mit“ („una cum…“) dem jeweiligen Papst und Diözesanbischof dargebracht („offerimus“) „und mit allen Rechtgläubigen und allen, die den katholischen und apostolischen Glauben fördern“. So jedenfalls die Übersetzung, wie sie im weit verbreiteten lateinisch-deutschen Volksmessbuch nach Benediktinerpater Anselm Schott (dem „Schott“) anzufinden ist. Der lateinische Originaltext dieser Stelle lautet aber: „una cum … omnibus orthodoxis, atque catholicae et apostolicae fidei cultoribus“! Der Begriff „orthodox“ wird da also in Deutsch als „rechtgläubig“ wiedergegeben. Da die hl. Messe im überlieferten Römischen Ritus aber immer in Latein gefeiert wird, müssen wir den betreffenden Terminus auch in lateinischer bzw. in griechischer (!) Originalsprache untersuchen und beleuchten. Und da ist es bezeichnend, dass es im Kanon eben nicht irgendwie anders, sondern ausgerechnet „orthodox“ lautet!
Sind also unter der Formulierung „in Gemeinschaft mit … allen Orthodoxen“ des Kanontextes tatsächlich die heutigen schismatischen und teilweise häretischen Orthodoxen zu verstehen? Feiert die katholische Kirche das hl. Messopfer wirklich auch in liturgisch-glaubensmäßiger Gemeinschaft mit diesen Klerikern und Gläubigen, die nicht in voller Einheit mit der Römischen Kirche und dem Papst (im Prinzip halt) stehen, wie sie dies in jedem Fall „in Gemeinschaft mit“ den eigenen rechtgläubigen Katholiken tut – „mit … allen, die den katholischen und apostolischen Glauben fördern“?
Nun, die logische Auflösung dieses „Knotens“ besteht darin, dass der Begriff „orthodox“ im Lauf der Zeit ebenfalls eine teilweise Veränderung bzw. eine gewisse polemisch-relevante Verlagerung seiner Inhalte erfahren hat. Denn wie der Begriff „katholisch“ hat auch der theologische Terminus „orthodox“ eine sog. abgrenzende Bedeutung erhalten. Wollte man also die Messworte „una cum … omnibus orthodoxis“ in der heute weitestgehend wie selbstverständlich verstandenen Bedeutung verstehen, nämlich im Sinn der Abgrenzung der schismatischen Gemeinschaften von der wahren katholischen Kirche, würde man natürlich ein großes Durcheinander in Bezug auf die Frage nach der lebendigen Mitgliedschaft in der wahren Kirche hervorrufen und praktisch in den verderblichen Modernismus abdriften. Tatsächlich aber feiern weder die sog. offiziellen „Orthodoxen“ seit fast 1000 Jahre kirchlich-sakramentale Gemeinschaft mit der katholischen Kirche noch kann die wahre katholische Kirche analog diese Orthodoxen zur hl. Kommunion und den anderen Sakramenten zulassen. (Was die heutigen Modernisten der „Konzilskirche“ sich auch in dieser Hinsicht so alles „erlauben“, interessiert uns hier nicht.)
Der Begriff „orthodox“ wird vom griechischen „ὀρθός orthos - geradlinig, richtig“ und „δόξα doxa - Verehrung, Glaube, überweltliche Herrlichkeit (Gottes)“ bzw. von „δοξαζω doxazo - ich preise“ abgeleitet. Somit bedeutet dieser Begriff ursprünglich und somit eigentlich nicht nur „die rechte Lehre“ in theoretischer Hinsicht, sondern darüber hinaus auch noch „die rechte Verehrung und Anbetung (der Herrlichkeit Gottes)“ im Sinne der praktischen Ausübung der eigentlich richtigen Glaubenshaltung! Im Lateinischen kommt dem der Terminus „Gloria - Glorie, Herrlichkeit“ bzw. „glorificare – loben, verherrlichen“ nahe.
So bezeichnet sich die russische orthodoxe Kirche in Russisch in Analogie dazu nicht anders als „Православная церковь, pravoslavnaja cerkov“ - „Die richtig-preisende Kirche“ („slavitj – preisen“, „pravo – auf die richtige, rechte, legitime Weise“). Hier wird das Wort „orthodox“ korrekt ins Russische übertragen und somit ebenso vom Prinzip her das wichtige Element der richtigen Anbetung Gottes im betreffenden theologischen Terminus unterstrichen.
Dem liegt die prinzipielle Erkenntnis der Kirche zugrunde, dass nur der, der den wahren Glauben hat, eigentlich Gott in entsprechend richtiger und somit gottgewollter Weise anbeten kann! Denn vor allem ein jegliches essentielles Abweichen vom wahren Glauben, wie er nämlich von Jesus Christus offenbart und dann auch von den Aposteln und der katholischen Kirche über alle Jahrhunderte hindurch unverfälscht überliefert worden ist, wirkt sich immer auch darauf entsprechend negativ aus, ob und wie dann die betreffenden Menschen die Verherrlichung Gottes praktizieren bzw. leben können.
■ Denn wenn z.B. Luther sagt, der Mensch sei „ein Stein und ein Klotz“ und somit grundsätzlich nicht fähig, den Willen Gottes zu erfüllen und somit auch Gott zu lieben (!), wie soll ein solcher bedauernswerter Mensch, bar jeglicher Willensfreiheit, deren Besitz aber überhaupt erst zur Liebe, Barmherzigkeit und Dankbarkeit befähigt, überhaupt Gott loben und verherrlichen können? Und auch wenn nach Luther die Rechtfertigung des Menschen keinesfalls in irgendeiner echten Sündenvergebung liege, sondern da lediglich der sittliche Schmutz des Menschen, der immer bleibe, lediglich nach außen hin wie mit einem weißen Tuch zugedeckt werde, erscheint der entsprechende lutherische „Gott“ nicht wie ein liebender Vater, den man wegen seiner Güte, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit liebt und bewundert, was aber die Voraussetzung für ein jegliches echtes Lobpreisen Gottes bildet, sondern eher wie ein scheinheiliges Wesen, welchem gegenüber man keine echte Achtung des Herzens empfinden bzw. keinen gesunden Respekt erweisen kann! Und wenn Luther sich schlussendlich sogar vergreift zu behaupten – man bedenke das nur! -, der Mensch tue dann Gutes, wenn Gott auf ihm „reitet“, und Böses, wenn der Teufel auf ihm „reitet“, dann verkommt ein solcher „Gott“ zu einem solchen schrecklichen Tyrann und furchtbaren Monster (nur eine andere Version des Teufels!), dem gegenüber man eigentlich nur sklavische Furcht und abgrundtiefe Verachtung empfinden könne. Wo bleibt da bitte noch Raum für die ehrliche Anbetung und aufrichtige Verherrlichung Gottes seitens eines Ihn aufrichtig suchenden und ungeheuchelt liebenden Menschen? Bezeichnenderweise sind ja auch alle Klöster, die an sich Orte der Anbetung Gottes sein sollen, entvölkert worden, die den Protestantismus angenommen haben.
Analoge Erkenntnisse lassen sich auch in Bezug auf andere Häresien machen.
Derweil wissen wir ja aus der hl. Schrift, dass die Engel Gottes Ihn ohne Unterlass mit ihrem „Heilig-Heilig-Heilig“-Gesang anbeten und verherrlichen (Is 6,1-4)! Und auch Jesus selbst formuliert gleich die erste Bitte des „Vaterunser“, wie wir in Entsprechung zu Seiner Anweisung nämlich ausdrücklich beten sollen, im entsprechenden anbetenden Sinn: „Geheiligt werden Dein Name“ (Mt 6,9)! Also schließt „das größte und erste Gebot“ Gottes, Ihn zu lieben, in sich notwendiger- bzw. logischerweise auch die Forderung nach der Teilhabe am wahren und überlieferten Glauben der „Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche“ (das Nicäno-Konstantinopolitanische Credo) mit ein. Somit kann man eigentlich nur dann im eigentlichen Sinn des Wortes „orthodox“ in der Bedeutung der Anbetung Gottes sein, wenn man auch „orthodox“ in der Bedeutung der Rechtgläubigkeit ist!
■ Zugleich muss man hinzufügen, dass auch der Begriff „katholisch“ eine gewisse Bedeutung besitzt bzw. Geltung innerhalb jener (schismatischen und teilweise häretischen) Gemeinschaften hat, die man gewöhnlich im oben dargelegten und nicht ursprünglichen Sinn des Wortes als „orthodox“ bezeichnet. Der Titel „Katholikos“ (griechisch καθολικός, katholikos - Ganzheit, allgemein, universal, lateinisch cathōlicus) ist nämlich ein Titel für das Oberhaupt mancher altorientalischer Kirchen (die sich z.B. wie die Armenier oder Kopten bereits im 5. Jahrhundert von der katholischen bzw. orthodoxen Reichkirche getrennt hatten) und entspricht weitgehend dem Titel „Patriarch“.
So wurde dieser Titel seit dem 4. Jahrhundert vom Bischof von Seleukia-Ktesiphon getragen und später von weiteren Bischöfen übernommen. Das Katholikat ist der Jurisdiktionsbereich eines Katholikos und entspricht einem Patriarchat. Im Mittelalter erhielten dann auch die Oberhäupter der nicht unierten „Armenischen Apostolischen Kirche“ sowie der „Georgisch-Orthodoxen Kirche“ den Katholikos-Titel.
Auch manche Oberhäupter der Katholischen (unierten) Ostkirchen benutzen den Titel Katholikos, zum Beispiel der armenisch-katholische Patriarch und der Großerzbischof der Syro-Malankara Katholischen Kirche.
Noch bedeutender ist die Bezeichnung der 3. Eigenschaft der Kirche im jenem Nicäno-Konstantinopolitanischen Credo der Göttlichen Liturgie. So wird da in der russisch-orthodoxen Kirche in Kirchenslawisch „sobornaja“ – „allgemeine, universale“ Kirche genannt, was auf Griechisch aber nichts anderes als „katholisch“ heißt. So lesen wir dann in den „Betrachtungen über die Göttliche Liturgie“ vom bekannten russischen Schriftsteller Nikolaj Gogol‘, welche 1989 in deutscher Übersetzung in der Verlagsbuchhandlung DER CHRISTLICHE OSTEN erschienen sind, an betreffender Stelle entsprechend korrekt (S. 72): „Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“.
Somit sehen wir, dass die Begriffe „katholisch“ und „orthodox“ jeweils eine bestimmte wichtige Eigenschaft der von Jesus Christus gestifteten Kirche bezeichnen bzw. jeweils eine bestimmte Nuance etwas stärker betonen. Im christlichen Altertum wurden diese beiden Termini praktisch wie selbstverständlich als Synonyme gebraucht. Ein beredtes Zeugnis dafür legt der Römische Messritus ab, nach welchem das hl. Messopfer „in Gemeinschaft“ mit einem rechtmäßigen Papst und legitimen Bischof „und mit allen Rechtgläubigen (‚et cum omnibus orthodoxis‘) und allen, die den katholischen und apostolischen Glauben fördern“ dargebracht wird. In dieser eigentlichen und ursprünglichen Bedeutung des Wortes „orthodox“ sind wir, die rechtgläubigen katholischen Christen, eben wirklich „orthodox“ – sowohl den rechten Glauben habend als auch Gott auf die rechte Weise verherrlichend!
Denn man kann nicht nur theoretisch „katholisch“ sein, um es wirklich zu sein. Nein, „katholisch“ kann man nur dann wirklich sein, wenn man diesen Glauben auch insofern aufrichtig lebt, dass man Gott liebt und diese Liebe sich dann auch und gerade sowohl im inneren Jubel des Herzens als auch im äußeren Lobpreis und der Verherrlichung der Heiligkeit Gottes – Seiner Güte, Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit – äußert. Dann ist man als katholischer Christ im ursprünglichen und eigentlichen Sinn des Wortes wirklich „ortho-dox“, eben Gott „richtig anbetend“!

P. Eugen Rissling


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